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Erotik (?)

16 Jul

Sam schlenderte durch die Gassen. Es war Nacht. Ihre Absätze hallten ihr von den hohen Häuserwänden entgegen.
Hohl, leer und ohne Inhalt. Sie war gelangweilt. Wollte nach Hause.
Aber… warum war sie dann hier?


Sie bog aus der Gasse in die belebtere Straße ein. Augenblicklich sah sie an einer Straßenecke eine Hure stehen, die mit einem Freier einen Preis aushandelte.
Bereits aus der Entfernung, sah sie dass das Mädchen Aids hatte und wahrscheinlich nicht älter als 18 sein konnte.
Dem Freier schien das nichts auszumachen, oder er bemerkte es nicht, weil er dem Mädchen auf die Brüste starrte.
Sie waren groß und rund. Wie Bowlingkugeln, nur eben aus Fleisch.
Die Haut war blass. Der Rest knallrot. Die Lippen, die Nägel, die Augen.
Die Augen, diese großen, runden Augen, die gierig auf die Brieftasche ihres Freiers starrten.
Sam kam an den Beiden vorbei: „Ich bezahl dir 100 Euro mehr, wenn dus ohne Gummi machst.“
„Okay.“
Er hatte es also nicht bemerkt. Er würde es bemerken.
Sie ging weiter, langsam, beobachtend. Nichts entging ihr.
An einem Hauseingang stand ein Paar, das sich küsste. Die Frau hatte ein Bein um die Hüfte des Mannes geschlungen.
Es war lang. Ein langes Bein, das in einem langen Stiefel steckte.
Die Hand hatte sie in dem Haar des Mannes vergruben. An einem Finger prangte ein Diamantring. Es war die linke Hand.
Von der Frau kamen animalische Laute. Töne, die sich zu einem Stöhnen formten. Sie stöhnte.
Sam kam an einem Pub vorbei. Ein Zuhälter hielt Ausschau nach seiner Hure. Sicher die mit den Bowlingkugeln. Er hatte blondes Haar, irgendwie golden. Und helle Augen. Frauen fanden ihn sicher attraktiv.
Er bemerkte Sams Blick und warf ihr ein charmantes Lächeln zu. In ihren Augen war es nur schmierig und falsch. Sie stellte sich einen Apfel vor, der von innen von Maden und Würmern befallen war.
Er hatte Ähnlichkeit mit einem Apfel.
Der Apfel kam ihr nach: „Hey, hast du schon was vor heute Nacht?“
Schmierige, ölige Stimme. Eklig, dreckig. Widerlich.
„Ich kenn da ein nettes Lokal, wo es sich ungestört reden lässt.“
Als ob sich seine Stimme über ihr Handgelenk legen wollte. Schmieriger Kerl.
Doch anstatt der Stimme legte sich eine Hand um ihr Gelenk.
Alles schrie in ihr, doch sie blieb still.
Mit großer Mühe entzog sie ihre Hand dem Mann und warf ihm einen vernichtenden Blick zu: „Seh ich wie eine Nutte aus?“
Sie ging weiter. Die Straße war noch lang.
Der Apfel warf ihr Wörter an den Kopf. Sicher nichts Nettes. Nichts drang durch zu ihr. Sie ging weiter. Schaute auf die Uhr, blieb wieder stehen.
Dachte an ihn. Ob er an sie dachte?
War er noch wach? Wollte er sie sehen?
Sie wollte ihn sehen. Sie wollte zu ihm. Sie vermisste ihn.
Sie empfand etwas für ihn. Aber das wusste er nicht.
Langsam hob sie den Arm und rief sich ein Taxi.
Dabei fiel ihr Blick auf eine Leuchttafel, die wie der heilige Geist in der Nacht strahlte um seine verlorenen Schafe zu sich zu führen.
Ein Unterwäschemodell sah ihr mit lustvollem Blick entgegen.
Sie sah gut aus. Nein, mehr als das. Sie war das, was sich viele Männer unter einer Traumfrau vorstellten.
Lange Beine, blond, vollbusig, willig. Immer geil.
Sie war perfekt. Computerbearbeitet.
Sam empfand ihren Blick als höhnisch. Irgendwie giftig. Oder vielleicht eher leidend? Bereute sie es, als 10 Meter großes Plakat irgendwo in Dublin zu hängen?
Als Wichsvorlage für geile Männer zu dienen?
Das Plakat war weder beschmiert noch in Fetzen gerissen worden. Eine Seltenheit in Ballymun.
Wichsvorlage.
Ein Taxi hielt vor Sam und sie stieg ein.
„Nein, das werde ich sicher nicht tun, du Schlampe! Du schmeißt mich nicht aus meiner Wohnung! Fick dich!“, brüllte der Mann in ein Handy, das neben dem Radio angebracht war.
Stille.
Sam wartete, der Taxifahrer auch.
Sie nannte eine Adresse. Unwichtige Worte, wie nebenbei erwähnt. Gekonnt die Nervosität überspielend. Die Angst.
Der Wagen setzte sich langsam in Bewegung.
Stille.
Es interessierte sie nicht. Nicht wirklich.
„Streit mit der Ehefrau?“, beinahe hätte sie gelacht.
Der Taxifahrer zuckte zusammen, dann lachte er kurz auf. Freudlos. Verletzt. Wütend.
„Machen Sie Witze? War nur meine Ex- Freundin. Blöde Schlampe will mich aus meiner Wohnung rausschmeißen. “
Ein Ire, denn sofort begann er Sam die ganze Geschichte zu erzählen. Grotesk.
„Aber das wird sie mir büßen. Ich lass mich doch nicht verarschen. Ich schätze Deirdre wird mich in ihrer Wohnung pennen lassen. Deirdre ist meine neue Freundin. Ich kenn sie schon zwei Wochen, da war ich aber noch mit Sinead zusammen. Die Tusse hat natürlich nichts gemerkt. Geschieht ihr Recht.“
Der Redeschwall versiegte. Sam dachte über die gesagten Worte nach.
„Haben sie das Mädchen nicht… geliebt?“
Sean schnaubte: „Sie kennen das doch. Man ist verliebt und all der ganze Scheiß. Man ist immer geil auf den anderen, kann gar nicht so oft wie man möchte. Aber dann holt einen die Realität ein und dann braucht man halt ab und an mal Abwechslung.“
Kannte sie das?
Die Taxifahrt wurde in niederdrückender Stille fortgeführt.
Bis das Auto in die Einfahrt der riesigen Villa fuhr.
„Geil, wohnst du hier?“, fragte der Mann beeindruckt und starrte das Haus an.
Sam nickte einmal. Lüge.
Sie bezahlte und blieb unschlüssig vor dem Haus stehen. Wie sollte es jetzt weiter gehen?
Sollte sie…
Natürlich, deswegen war sie hergekommen. Aus diesem Grund war sie aber auch stundenlang durch Ballymun gestreunt und hatte sich eine Schattenseite nach der anderen angesehen.
Langsam, fast vorsichtig schritt sie zu der riesigen Eichentür und blieb wieder stehen.
Sie sollte nach Hause.
Aber nicht heute. Heute… nicht.
Sie streckte den Finger nach der Klingel aus, verharrte aber wieder einen Moment. Sie war sich nicht mehr sicher.
Wütend kniff sie die Augen zusammen. Sie durfte keinen Rückzieher machen!
In dem Moment wurde die Tür aufgerissen und Sam sah mit großen Augen den Mann vor ihr an.
„Ted“, Sams Stimme war dünn. Nicht die ihre.
Er starrte sie an.
Sein Blick war undurchschaubar, wie immer. Sie konnte nicht in ihm lesen. Noch nie.
Hatte er sie erwartet? Vermisst? Wollte er sie sehen? Empfand er etwas für sie?
Sie versuchte es mit einem Lächeln. Unsicher. Zaghaft. Nichts erinnerte mehr an die Frau auf der Straße.
Vor der Tür stand ein hilfloses Kind.
Er spürte es, sah es. Wortlos trat er beiseite und ließ sie hinein.
Sam trat zögernd in die große Halle des Hauses. Groß. So groß. Kalt. Unheimlich.
Sie drehte sich zu dem Hünen um. Die Lampen waren nicht angeschaltet.
Sein Gesicht lag im Schatten. Er beobachtete sie. Natürlich.
Versuchte zu verstehen. Warum war sie hier? Jetzt.
Und nicht in einem Flieger der sie nach Hause brachte?
„Mein Flieger wurde gecancelt“, meinte sie, wie um sich zu entschuldigen.
Er nickte und ging in Richtung Küche. Zögerlich folgte sie ihm.
Teewasser stand auf dem Herd.
Stille.
Pfeifend machte der Kessel die Anwesenden darauf aufmerksam, dass das Wasser kochte.
Er ließ zwei Teebeutel in eine Tasse gleiten. Dann goss er das Wasser hinein.
Stille.
Die Frau saß an dem Tisch und stierte seinen Rücken an. Das spürte er, aber was wollte sie? Warum hatte sie kein Zimmer genommen, warum war sie zu ihm gekommen?
Hoffnung keimte ihn ihm auf, doch er unterdrückte sie. Sie hatte kein Interesse. Und er war zu stolz um sie ein zweites Mal zu fragen.
Schmerzlich wurde ihm jedoch bewusst, dass er sie nicht vergessen konnte. Keine Frau hatte das je geschafft.
Nur sie… war anders.
Er erwischte sich immer wieder, tagträumend, wie sie sich in seine Umarmung schmiegte. Wie sie mit ihren Lippen über seine Haut strich.
Wie sie sich unter ihm bog.
Die heißen Spritzer des Teewassers auf seiner Hand holten ihn in die Realität zurück. Die Zuckerwürfel fielen mit einem Platschen in den heißen Tee.

Sie beobachtete wie er mit seinen großen Händen die Teebeutel aus der Verpackung holte und sie in die Tasse hielt.
Sie stellte sich vor, was er mit seinen Händen alles anstellen konnte.
Sie wurde rot.
Die Teetasse stand plötzlich vor ihr und Ted drehte sich wieder um. Er ging in Richtung Tür. Er würde gehen. Für immer.
Der Stuhl fiel krachend nach hinten, als Sam aufsprang, die Teetasse kippte um.
Der Tee floss über die Tischplatte und ergoss sich wenig später auf dem Boden.
Geh nicht, wollte sie sagen.
„Der Flug wurde nicht gecancelt, Ted.“, brachte sie mühsam hervor.
Der Leibwächter drehte sich um und betrachtete sie wieder. Ihre Gesichtszüge waren ihr vollständig entglitten. Verzweiflung.
„Ich hab ihn verpasst… absichtlich.“
Nun war er überrascht. Sie hatte den Flug verpasst. Und sie war hier. Er versuchte einen logischen Gedanken zu fassen.
Doch alles lief auf nur eine Lösung hinaus.
Plötzlich, eher aus Reflex, als durch einen klar gefassten Gedanken, überbrückte er die Distanz zwischen ihnen mit wenigen großen Schritten. Griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich.
Die Beiden standen eng umschlungen mitten in der großen Küche in einer klebrigen Lache vergossenen Tees.
„Ich möchte bei dir bleiben“, hörte sie sich flüstern.
„Für wie lange?“
„Heute.“
„Und morgen?“, Erwartung klang in seiner Stimme mit.
Sie lächelte: „Morgen auch.“
„Und übermorgen?“, da war etwas in seiner Stimme. Zuversicht.
„Das-„, Unsicherheit, Wankelmut, „weiß ich noch nicht.“
Ted hob ihr Kinn, sie musste ihm in die Augen sehen. Er sah sie an, mit diesen blauen Augen, die er hatte. Dunkelblau. Wie das Meer. Sie fürchtete, sich irgendwann im Meer wieder zu finden mit nichts als Wasser um sich herum.
„Bleibst du für immer?“
Hypnotisierend. Sie wollte Ja sagen. Aber das wäre eine Lüge.
Sie schluckte und blinzelte.
„Ich liebe dich“, wisperte sie.
„Das reicht mir“, er nickte und küsste sie, „Vorerst.“

Copyright 2009- Regina B.

 
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Verfasst von - Juli 16, 2011 in Kurzgeschichte

 

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